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Das Material

1938 haben sich zwei Menschen – wir nennen die beiden mit den Pseudonymen Hilde Laube und Roland Nordhoff – kennengelernt, sich verliebt, später geheiratet und Kinder bekommen. Bis Anfang 1946 haben sie sich über 4.000 Briefe und Postkarten geschrieben. Dieser Briefwechsel ist komplett erhalten geblieben, was ganz außergewöhnlich ist, denn in aller Regel sind in Kriegszeiten die Briefe an die Männer verloren gegangen; nicht, weil sie nicht ankamen, sondern weil die Kriegssituation es den Soldaten oft nicht ermöglichte, die Briefe sicher aufzubewahren und mitzunehmen.

Die besondere Bedeutung dieser Briefe liegt darin, dass sie einen unverstellten Einblick in die Gefühle, Stimmungen, Einschätzungen des Paares in der damaligen Zeit geben: Sie thematisieren die Versorgungssituation, die Kriegslage, ihren Glauben, ihren Blick auf „den Führer“, auch ihre Zweifel und die Weise, wie sie aus gelegentlichen Stimmungstiefs wieder herausfanden. Diese Zeugnisse aus der damaligen Zeit unterscheiden sich sehr wesentlich von Erzählungen von Zeitzeugen, die rückblickend berichten, in Kenntnis des weiteren Ablaufs der Geschichte. Die Briefe, geschrieben in der Zeit, sind von höchster Authentizität.

Bei der Betrachtung des Materials darf allerdings nicht vergessen werden, unter welchen politischen Gegebenheiten diese Briefe verfasst und verschickt wurden: Das Postgeheimnis war längst abgeschafft, Absender und Adressaten mussten immer damit rechnen, dass die Zensur die Briefe und Päckchen öffnete und einbehielt. Oder es drohten sogar persönliche Konsequenzen. Insofern gab es neben der äußeren Zensur auch eine innere Zensur: Sicherlich haben die beiden manches etwas vorsichtiger formuliert, als wenn sie sich sicher gewesen wären, dass niemand „mitliest“. Sie thematisieren das auch gelegentlich in ihren Briefen. Auch wenn Roland berichtet, dass bei seinen Kameraden gelegentlich Post nicht angekommen ist, scheint es bei ihrem Briefwechsel zu keinen Problemen gekommen zu sein.

Die Grundlage: Trug und Schein (T&S)

Die Kinder des Paares leben noch. Sie haben diesen Briefwechsel dankenswerterweise vor einigen Jahren der Wissenschaft zur Verfügung gestellt.

Zur Bearbeitung der Briefe entstand das internationale public history-Projekt „Trug & Schein“. Über dieses Projekt, die internationale Forschungsgruppe, die beteiligten Institutionen und Personen und die daraus entstandenen Projekte finden Sie umfangreiche Informationen auf der Website von T&S.

Unverzichtbare Grundlage für die Erstellung unserer Lesung war die Übertragung der Briefe – zum Teil in Kurrent (ähnlich Sütterlin) geschrieben – in lateinische Schrift und ihre Umsetzung in die digitale Form für die T&S-Website. Diese Transkriptionen wurden an verschiedenen Orten geleistet, so z. B in Wien und Kansas City (USA). Ein ganz wesentlicher Teil dieser Arbeit wurde (seit 2015) und wird ehrenamtlich in der Freien Altenarbeit Göttingen durchgeführt; ältere Menschen (die die Schrift noch lesen können) und Studierende der Universität Göttingen (die die Texte digitalisieren können) arbeiten dafür zusammen. Manchmal waren die Briefe nicht gut zu lesen (Bleistift), und die schiere Menge des Materials (mehr als 4.000 Briefe, bis zu 22 Seiten lang) macht deutlich, welche Aufgabe sich diese Freiwilligengruppen vorgenommen haben, und warum diese Übertragung viel Zeit in Anspruch nimmt.

In den letzten Jahren wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, diese Transkriptionsarbeit zu vereinfachen und zu automatisieren. Über die Gruppen und über den Prozess sind auf der oben genannten Website viele weitere Informationen enthalten.